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Thorsten Kasel: Zwischen Realität und Ideal

Bekannt für großformatige Idealtypen weiblicher Schönheit in Acryl, wendet sich Thorsten Kasel hier seiner zweiten, nicht minder eindrucksvollen Stärke zu: Der realen Charakterstudie in feiner Zeichnung auf kleinem Papierformat.

Aber ist es wirklich eine realistische Darstellung der Persönlichkeit?

Thorsten Kasel,
Nathalie, 2020,
Bleistift und Aquarell auf Papier, 29,7 x 22,0 cm

Unter bewusster Verwendung des Genre des Selfie als Vorlage, fängt der Künstler den Zwischenzustand der Urheberin ein, verortet zwischen intimer Selbstbetrachtung und bewusster Steuerung der Fremdwahrnehmung.

Nathalie Krall,
Selfie, 2020,
Digitalfotografie, Privatbesitz

Und dieser virtuelle Zustand wird zum Startpunkt für Kasels künstlerische Interpretation:

Oszillierend zwischen dem Du und dem Ich wird durch den Filter, die Augen, die Hände des Künstlers auch dieses Alltagsbild ästhetisiert und angepasst an ein ätherisches, nymphengleiches Schönheitsbild.

Darin gibt es zu gleichen Teilen Aufschluss über den Schöpfer und über die Zeit, in der er lebt – in der wir alle leben: Zeitgeist in der Inszenierung, Zeitlosigkeit im Ideal.

In der Eigenwilligkeit der Farben als Kunstmittel drängen sich Fragen nach dem Warum auf: Warum gerade das nachflackernde, strahlende Gelb der Velvet-Underground-Banane von Andy Warhol? Warum die Akzentuierung mit dem samtig-leuchtenden Scharlachrot der Imago der Samtmilbe? Warum die ungewöhnliche Verschränkung mit den kräftigen Schattierungen des päpstlichen Purpur?

Die Farben stehen für sich. Und sie stehen im Bezug zueinander. So wie wir alle. So wie alles im Leben.

Kasel dichtet mit Farben und verweist darin auf einen psychologisch-ästhetischen Aspekt des Kolorits, durch den die Persönlichkeit der Dargestellten untermalt wird. Gänzlich kennt die Geheimnisse der Farben aber nur der Künstler selbst.

Doch liegt genau in dieser Unergründlichkeit des Zusammenspiels von Zeichnung, Motivik und Farbigkeit die Anziehungskraft.

Im Zeitalter der sozialen Medien mit ihrer überschwemmenden Bilderflut verweist Kasels kleine Studie auf die anhaltende Macht der Kunst – und auf den Künstler als Faktor Mensch. Neben allen Instagram- und Snapchat-Filtern braucht es genau diese Kombination aus Kreativität und Mensch, um aus Bildern Ikonen zu machen.

Nathalie Krall, M.A.
Kunsthistorikerin, Düsseldorf

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