DE | EN

Katerina Belkina: Personal Identity - Vom Tafelbild zum Trugbild

belkina.art

Auf dem Grat zwischen Renaissanceideal und futuristisch-apokalyptischen Anklängen des Postindustrialismus erwächst Katerina Belkinas Personal Identity. Zwischen Anthropozentrismus und Anthropozän entsteht ihre persönliche Identität aus der Serie Revival (2014 – 2017) als Projektionsfläche der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse.

Auf der Reise zur Selbsterkenntnis begegnen wir dem, was wir sind und was wir sein wollen. Gleichzeitig werden wir hier aber auch damit konfrontiert, wie wir mit der Welt um uns umgehen. In welchem Mittelpunkt steht der Mensch, der seine Umwelt zerstört?

Kunsthistorische Erinnerungen werden wach an Stadtansichten der (Selbst-)Vernichtung. Vielleicht schleichender als in den Schreckensszenarien von Thomas Cole (1801 – 1848) oder John Martin (1789 – 1854), im Ergebnis aber nicht weniger apokalyptisch.

Thomas Cole (1801 – 1848),
Der Weg des Imperiums: Zerstörung, 1836,
Öl auf Leinwand, New York Historical Society, NY, USA
Quelle: New York Historical Society

John Martin (1789 – 1854),
Der große Tag seines Zorns, 1851 – 1853,
Öl auf Leinwand, Tate Britain, London, UK
Quelle: Tate Britain

Die Idee der auf das Ende zusteuernden Stadt ist dabei ein Motiv, das immer wieder im Œuvre von Belkina auftaucht. Mal ist sie Hintergrundkulisse für eine andere Geschichte, wie in der Serie Empty Spaces (2010 – 2011),

Katerina Belkina,
Red Moscow, 2011, Archival Pigment Print
Quelle: www.belkina.art

mal wird sie zu einer eigenen Entität, pulsierend und bedrohlich für die Akteurinnen.

Katerina Belkina,
Constant, 2015, Archival Pigment Print
Quelle: www.belkina.art

Im Rückgriff auf die bildkünstlerische Kompositionen der italienischen Renaissance inszeniert Belkina ihre Frauenfigur vor der Stadtlandschaft gleichzeitig modern und seltsam aus der Zeit gefallen.

Piero di Cosimo (1462 – 1522),
Portrait der Simonetta Vespucci, ca. 1480 – 1490,
Öl auf Leinwand, Musée Condé, Chantilly, Frankreich
Quelle: Musée Condé

An der Schnittstelle von Vergangenheit und Zukunft, fragt sie nach unseren Werten in der heutigen Zeit und erinnert uns, dass wir alle Teile eines größeren Gesamtkonstruktes sind, das es unter allen Umständen zu erhalten gilt.

Katerina Belkina,
Personal Identity, 2016, Archival Pigment Print
Quelle: www.belkina.art

Angelehnt an große Portraits der Kunstgeschichte wird in einer monumentalen Komposition von großer Ruhe die Bewegung zum Gestus. Doch ist die Hand nicht ausgestreckt zum Segen oder Gebet, sondern zum Klicken.

Wie Sandro Botticelli (ca. 1444 – 1510) in seinem jüngst zum Rekordpreis versteigerten Portrait eines jungen Mannes mit Medaillon macht sich Belkina den Trompe-l’œil-Effekt, die illusionistische Augentäuschung zu Nutzen.

Sandro Botticelli (ca. 1444 – 1510),
Portrait eines jungen Mannes mit Medaillon, ca. 1480 – 1490,
Öl auf Leinwand, Privatbesitz
Quelle: Sotheby’s

Belkinas Schönheit scheint aus der Bildfläche hinaus in unsere Lebensrealität zu greifen. Doch steht die Technik zwischen der wahrhaften menschlichen Begegnung.

Der enigmatische Blick aus dem Dreiviertelportrait fragt jeden von uns nach der perfekten Selbstdarstellung in einer zunehmend digitalen Welt, einem Thema, das zunehmend Anklänge im Schaffen von Katerina Belkina findet. Wir sind voneinander getrennt durch eine holografische Schalttafel, ein Lichtkreis voller Botschaften: Glück, Befriedigung, Wut, Angst, Traurigkeit … Was wählen wir heute?

Durch die optische Illustion reißt Belkina die Mauer zwischen dem Raum der Protagonistin und der Betrachtenden ein. Die Bildebenen verwischen, während die Grenzen von Realität und Illusion neu abgesteckt und gleichzeitig erweitert werden.

Wer beobachtet wen? Wer tritt in wessen Lebensrealität ein? Sind wir es, die von innen nach außen schauen? Oder schaut sie hinein zu uns? Ist es das Kunstwerk hinter Acrylglas oder sind wir selber es, die hinter dem ultraharten Spiegelglas der Technik und der sozialen Medien leben?

Verschränkt mit der Idee der urbanen Landschaft im Bildhintergrund wird ihr ausgestreckter Finger zum Fingerzeig auf den überinszenierten Menschen.

Der enigmatische Blick aus dem Dreiviertelportrait fragt jeden von uns nach der perfekten Selbstdarstellung in einer zunehmend digitalen Welt, einem Thema, das zunehmend Anklänge im Schaffen von Katerina Belkina findet.

Katerina Belkina,
Weighing up, 2010, Archival Pigment Print
Quelle: www.belkina.art

Im Anthropozän immer nur einen Klick, einen Kunstgriff entfernt, ist die Augentäuschung synonym mit Realität, gleich ob Tafelbild oder Selfie.

Nathalie Krall, M.A.
Kunsthistorikerin, Düsseldorf

Nutzungshinweis:
Die Urheberin gibt die Erlaubnis, erweiterte Zitate aus dem Textmaterial zu verwenden. Bei Zitaten muss die Originalquelle vollständig angegeben werden. Jede weitergehende Nutzung dieser Inhalte bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung der Urheberin.